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Unentschieden gegen das Zuckerorchester aus Bukoba - jetzt zieht Toto African alle Register


Kagera Sugar ist zu bemitleiden. Die Mannschaft kommt aus Bukoba, einer Hafenstadt, die unmittelbar an der Grenze zu Uganda liegt. Die Auswärtsfahrt in den Süden nach Mtwara muss Selbstmord sein. 2000 Kilometer Wegstrecke für ein Fußballspiel. Die größte Distanz in der Vodacom Premier League. Von der Westküste des Viktoriasees bis zur Nordgrenze Mosambiks. Ich leide schon bei der Hälfte wie ein Hund. Welch ein Glück, dass am vergangenen Wochenende ein spannendes Lake-Zone Derby anstand: Toto African SC lädt ins Kirumba Stadium ein. Die Anfahrt ist kurz, ebenso der Geduldsfaden der Toto Anhängerschaft. Vehement wird ein Sieg eingefordert. Dass es gegen den Viertplatzierten geht, wird ausgeblendet. Gelobt seien an diesem Tag jene, die ihre Konyagi-Tütchen (Gin) bis zum letzten Tropfen auslöffeln. So vergessen sie glatt, dem Trainerteam in die Aufstellung reinzuflanken. Wir stellen unsere derzeit besten elf Kicker auf und beginnen mit Musa - Chuku, Malima, Yusuphu, Yusuph Amos - Carlos, Jaffari, Lusajo, Jamali - Waziri und Kimanzi.



Die "Highlights" der Partie sind im folgenden Video zu sehen. Amüsant, dass AzamTV viele Großchancen in der Zusammenfassung nicht ausstrahlt. Vielleicht will man die Unglücksraben verschonen. Vielleicht will man den Zuschauer täuschen. Wahrscheinlicher ist es, dass man die Aufnahmespule einfach durch den Zufallsgenerator gezogen hat. Immerhin sind beide Tore des 1:1 Unentschiedens auf Leinwand. Torschütze von Toto African ist Jamal Soud, der per Elfmeter in der zweiten Halbzeit den Spielstand egalisierte. Die Pressekonferenz, die in Mwanza stets auf der Rasenfläche abgehalten wird, ist nur im Rundfunk zu hören. Noch nie wurde ich so in die Mangel genommen. Auch der Vorstandsvorsitzende steht im Kreuzfeuer. Die Fans beschweren sich, warum man den Schiedsrichter oder den Gegner nicht mit Geld bestochen habe. "Für Kagera geht es ja um nichts mehr!"


Den Stammspielern erlaube ich am Dienstag frei zu machen. Einige füllen die Abendstunden mit lockeren Regenerationsübungen und Gymnastik, andere lassen sich von unserem grobmotorisch veranlagtem Medikus und ehemaligem Sicherheitsbeauftragten, die entkräfteten Muskeln durchkneten. Die Ersatzspieler und Nicht-Berücksichtigten absolvierten zusammen mit mir eine Laufeinheit vor traumhafter Kulisse am Viktoriasee. Drei von ihnen tragen Ballettschläppchen aus Leinen, andere sind mit Tretern aus Plastik unterwegs. Selbst in der höchsten Spielklasse Tansanias kann sich nicht jeder taugliche Joggingschuhe leisten. Das Management ist nicht bereit für unsere zweite Garde die Mietkosten eines Fußballplatzes zu stemmen, geschweige denn für üppige Fahrtkosten aufzukommen. Gemecker und Nörgelei ist selten - man nimmt es irgendwann so hin.



Das nächste Mannschaftstraining habe ich für den folgenden Morgen angesetzt. Start um 07:30 Uhr, alle sollen pünktlich sein. Wo kann mir selbst am Abend zuvor niemand sagen. Die Vorstandsebene ist gemütlich und lässt sich in der Organisation nicht unnötig hetzen. So wache ich am Mittwoch um 06:00 Uhr in der Früh auf, ohne zu wissen, ob wir zwei Brettergestelle oder ein Torgehäuse auf dem Platz haben oder gar leer ausgehen, ob wir eine wellige Huckelpiste abgrasen oder ein ebenes Sandareal bespielen oder ob wir eine 30-minütige Daladala-Fahrt auf uns nehmen oder vor der eigenen Haustür trainieren können. Schlussendlich versammeln wir uns eine Stunde später als gedacht auf Furahisha, eine Spielstätte und ein Eventsektor direkt vor der Rock City Mall, dem prunkvollen Einkaufszentrum der Stadt Mwanza. Schlechter kann es einen kaum treffen!


Eine weitere Hiobsbotschaft erreicht mich am nächsten Tag. Vier entgangene Anrufe innerhalb kürzester Zeit. Clubpräsident Aiko scheint es unter den Nägeln zu brennen. Sonderbar! Schneidet und feilt der gelehrte Apothekter diese doch nahezu täglich - Maniküre-Tricks der Beauty- und Kosmetikbranche sind bekannt. Logische Schlussfolgerung für mich: Da muss was passiert sein! Am Telefon erklärt er mir, dass das Comitee von Toto African entschieden hat, mir einen weiteren Assistenztrainer an die Seite zu stellen. Ich war verblüfft und verwundert. Warum wird zum jetzigen Zeitpunkt eine Veränderung im Coaching-Team vorgenommen. Unsere Rückrundenbilanz liest sich für einen Abstiegskandidaten doch solide. Neun Pflichtspiele, davon drei Siege, vier Unentschieden und zwei Niederlagen. Selbst das Torverhältnis ist mit 7:5 positiv. Nachfragen meinerseits werden im Keime erstickt, man erwarte die gesamte Technical-Bench am Nachmittag im Kirumba Stadium.



Fulgence Novatus heißt der Neue. Inhaber der höchsten Lizenz und erfahren im Coaching tansanischer First-Division Teams und Premier League Mannschaften. Der 64-Jährige spricht ausreichend Englisch und hat alle Sinne beieinander, die wohl wichtigste Eigenschaft in einer Chaosanstalt. Khalfan Ngassa behält den Posten des General Managers bei. Ich werde der Presse als neuer Technischer Direktor vorgestellt. Die Aufgabe: Führung des Trainerstabs! Habe ich die Trainingseinheiten bisher alle alleine geplant, durchgeführt und nachbereitet, so teile ich diese Aufgabe nun mit Fulgence. Ein kluger Schachzug, diesen Mann im Verein zu installieren und das Trainerteam zu vergrößern. Aufgaben können besser verteilt werden und die Sprachbarriere Swahili-English wird umgangen. Wir nähern uns dem Saisonfinale und Toto versucht alle Kräfte zu mobilisieren. Ich trage weiterhin die Verantwortung über die Mannschaft, versuche nun zusätzlich eine Brücke zwischen Management und Technical Bench zu schlagen.


Unserem größtem Aktivposten Bea, dem Zauberer, werden endlich Zahlungen gekürzt. Vor Wochen erhielt der Schwergewichtler im Toto-Lager eine große Geldsumme vom Sparbuch, um ins 600 Kilometer entfernte Kigoma zu fahren. Dort soll es von Witch-Doktoren und "Local-Medicine" nur so wimmeln. Der beste Standort für Hexerei und Zauberei in Tansania, wenn man dem gemeinen Pöbel Glauben schenken darf. Als aufflog, dass Bea das Geld für eigene Zwecke einsetzte und aus den eigenen vier Wänden telefonierte, erkältete sich Chairman Aiko fast vor Wut. Die Suspendierung ist unumgänglich. Die Haushaltskasse wird nun wieder für etwas Sinnvolles geöffnet: akzeptable Fußballplätze für Trainingseinheiten. Butimba School Pitch oder das CCM Kirumba Stadium werden wieder unser Wohnzimmer!


Großes Verblüffen löste die Wiederankunft von unserem Stürmer Mbumba aus, der über 4 Monate verschollen war. Das 25-jährige Kraftpaket wollte damals nach Dar es Salaam reisen, um dem verstorbenen Vater die letzte Ehre zu erweisen. Bis zum gestrigen Tage hatte niemand eine Information über sein Verbleiben. Die Lösung des Rätsels ist so simpel wie revolutionär: langwierige Verhandlungen um die massige Erbschaft. Der Vater ist ein reicher Geschäftsmann und dementsprechend heiß begehrt beim anderen Geschlecht. 47 Kinder sind nach meinem Ermessen eine Meisterleistung. Die Frauen werden rumgereicht wie ein Wanderpokal. Schauplatz war Angola und nicht Tansania. Dem Anschein nach sind die Anwärter auf monetäre Auszahlungen aus ganz Afrika angereist. Hätten solche Geschichten im europäischen Profifußball beim Trainer wahrscheinlich Sodbrennen ausgelöst, kann man hier nur schmunzeln.


Am Montag, dem 27 Februar trafen wir im Azam Cup auf Mbao FC, zogen dort aber leider im Elfmeterschießen den Kürzeren. Mbao war von Beginn an das aktivere Team und kam in der ersten Halbzeit zu einigen Torchancen, konnte aber kein Tor erzielen. Wir fanden in den ersten 45 Minuten keinen wirklichen Spielfluss. Auch in der zweiten Halbzeit taten sich beide Mannschaften ungemein schwer, dem Platzregen am Vormittag Paroli zu bieten. Zwei exzellente Kontergelegenheiten wurden auf beiden Seiten durch eine Pfütze auf dem Platz zu Nichte gemacht. Der flache Steilpass war nicht die beste Waffe zum Angriff. Pech hatte Toto bei einem Lattenkracher 15 Minuten vor Spielende. Im Elfmeterschießen versagten Yusuph Amos und Juvenary Pastore die Nerven. 4:2 verloren! Es gibt schlimmeres... Die Liga ist entscheidend. Hochinteressant ist immer wieder zu sehen, wie die zwei Live-Kommentatoren am Ende der Haupttribüne vor einer roten Coca-Cola Wand sitzen, auf einen kleinen Bildschirm schauen und die Fernsehzuschauer mit Spielinfos und Emotionen verwöhnen. Einen Blick auf den Rasen werfen sie nicht.


Das nächste Punktspiel der Premier League ist wieder gegen den Stadtrivalen und direkten Abstiegskonkurrenten Mbao FC. Derbytime und Fußballschlacht! Wir stehen bei 22 Punkten aus 23 Spielen, Mbao verbucht nach 24 Begegnungen lausige vier Punkte mehr. Unser Credo lautet Vollgas bis die Lunge klappert; Vollgas bis die Nieren rasseln! Große Sprüche und freche Sticheleien sind in der Stadt an der Tagesordnung. Wir lassen die erfahrenen Floskelvirtuosen gewähren, fokussieren uns intern aber auf das Spiel - mit gewohnter afrikanischer Seriosität!

Auf dem oberen Bild ist unser Towart Musa Kirungi zu sehen. Eingedeckt wie ein Tisch! Obst- und Gemüsereste, ein zerfleddertes Toast, Schlamm und Modder vom Erdboden und eine Flut an kaltem Wasser werden auf Haut und Haaren platziert. Alle grölen vor Freude und selbst das Geburtstagskind scheint glücklich zu sein. Eine spezielle Sitte der Fußballer.


Liebe Grüße aus dem Norden Tansanias,

euer Tim


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