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Die Hölle des Fußballs: Abstiegsangst! Toto kommt ins Str


Die Militärmannschaft Ruvu Shooting hat den Vormarsch von Toto in der Vodacom Premier League gestoppt. Ruvu gewann zum Abschluss des 21. Spieltages mit 1:0 (0:0). Für uns war dies die erste Niederlage nach fünf Pflichtspielen. Die erste Halbzeit war spielerisch unterirdisch und glich dem Geholze und Gebolze einer schottischen Feuerwehrmannschaft. Das hatte mit Fußball nichts am Hut! In der Halbzeitpause verdeutliche ich den Spielern lautstark, dass wir bisher einen Mist fabriziert haben und uns in der zweiten Hälfte dem Fußballspielen widmen sollten. Ich tausche direkt zwei Offensivspieler aus. Ab sofort gestalten wir aussichtsreiche Gelegenheiten und spielen zielstrebiger nach vorne. Spätestens Waziri Junior muss eine Willy Sagnol-Gedächtnisflanke freistehend vor dem gegnerischen Gehäuse per Kopf verwerten, scheitert aber am glänzend aufgelegten Schlussmann. Das sollte sich rächen: In der zweiten Minute der Nachspielzeit erzielt Said Dilunga die Führung für die Auswärtsmannschaft. Ob Ruvu-Dusel oder Toto-Schussel, die Punkte sind weg und wir rutschen wieder in die brenzliche Tabellenregion. Die Mannschaft ist maßlos enttäuscht, gerade weil wir es nicht geschafft haben an unsere aufsteigende Leistungskurve anzuknüpfen. Unser veritables Fußballmärchen der letzten Spiele erhält einen Knacks. Der Psychologe in mir ist gefragt, um die Kicker schnellstmöglich aufzupeppeln. Es klingt wie eine Banalität, ist aber von enormen Stellenwert für die jungen Spieler. Ab geht es ins Spielercamp!

Maßnahmen zur Regeneration fallen dürftig aus, Wellness gibt es im TV. Für Toto kann es eine Erholung nur für wenige Stunden geben, da die längste Reise des Jahres bevorsteht. Das schwüle Mtwara ruft aus dem Südwesten Tansanias. 1700 Kilometer Wegstrecke! Es sollte ein Fiasko auf vier Rädern werden - der Bus ist als Transportmittel ohne Alternative. Ich philosophiere mit dem Trainerteam und einigen Spielern über das vergangene Spiel und lege mich dann zeitig auf eine freie Matratze im Spielercamp zum Schlafen. Wir starten bei völliger Dunkelheit um 04:00 Uhr nachts. 22 Stunden später sind wir in Daressalam und legen eine Pause von drei Stunden ein. Geschlafen wird auf den harten Sitzen im Bus. Mehrmals ruft unser Spieler Lusajo mir zu: "This is tanzanian football!" Wie wahr! Zum Glück habe ich in der Reisetasche einen Tolino mit zwei lesenswerten Büchern von Sebastian Fitzek und Stephen King dabei. Geistige Ablenkung zur Linderung der physischen Abnutzungserscheinung an den Kniescheiben und der Wirbelsäule. Jeder Halt zum kurzen Luftschnappen ist willkommen und vielfältige Obststände an den Straßen gleichen dem Paradies. Wie immer dabei ist auch eine Rolle Klopapier. Das unersetzlichste Utensil für einen Mzungu. Die Tansanier verzichten selbst in den meisten Unterkünften darauf. Die linke Hand ist stets parat und ich hoffe, der Weg zum Seifenspender nicht unweit.

Am folgenden Abend treffen wir um 21:30 Uhr nach härtesten Strapazen endlich am Zielort ein. Das nächste Problem lässt nicht lange auf sich warten. Der Vorstand hat es versäumt eine Unterkunft zu buchen, in dem Glauben, es lasse sich schon was Vernünftiges auftreiben. Leider ist das nicht der Fall! Entweder sind die Betten belegt oder die Preise zu hoch. Es droht eine weitere Nacht im Bus und die Stimmung der Mannschaft ist verständlicherweise am Boden. Einige Spieler witzeln gar, dass Journalisten und Reporter bereits auf dem Weg zu uns seien, um den nächsten blamablen Beitrag über Toto African im Fernsehen, Radio und Zeitung zu veröffentlichen. Der Galgenhumor ist zurückgekehrt. Schlussendlich erbarmt sich nach langatmigen Diskussion ein sportbegeisterter Besitzer einer verstaubten Schlafstätte und gewährt für eine Nacht Asyl. Zum Spottpreis!

Am Folgetag trainieren wir zweimal. Morgens im Umoja Stadium, dem 5.000 Zuschauer umfassenden Fußballzirkus Ndandas, abends auf einem Schulplatz, dessen lehmiger Boden durch den Platzregen völlig aufgeweicht ist und ein effektives Training kaum zulässt. Nach dem vielversprechenden Abschlusstraining am Freitagmorgen bleibt immerhin ein wenig Zeit die 120.000 Einwohner zählende Stadt zu erkunden. Das Verkehrsnetz ist groß angelegt, man erhoffte sich nach einem Erdnuss-Projekt 1946 und einem groß angelegten Hafen im unterentwickelten Südosten Afrikas ein zweites Mombasa schaffen zu können. Die erhofften Erträge der Erdnussfarm blieben jedoch aus und das Projekt Mtwara verlor an Bedeutung. Einzig eine Fabrik zur Verarbeitung von Cashew-Nüssen und ein Abfüllwerk für Getränke ist von wirtschaftlicher Relevanz. Sehenswürdigkeiten gibt es keine. So genieße ich die warmen Temperaturen am schönen Sandstrand und schlendere durch die Gassen des verwinkelten Marktplatzes.


Das Pre-Match Meeting ist lustig und erheiternd. Der Match-Commissioner reißt Witze und verleibt sich entgegen deutscher Knoppers-Tugend morgens um 10 Uhr zwei volle Dosen Red-Bull ein. Von den Ndanda-Fans wurde ich als weißer Trainer zum Spiel weniger freudvoll empfangen. Es schallte Mzungu-Gebrüll von den Rängen und Fäuste wurden theatralisch geballt. Anfeindungen, wie man sie aus Tansania so gar nicht kennt. Mentor Olliver Kahn ertönt auf meinem inneren Schallplattenspieler: "Das ganze Stadion wird gegen uns sein. Was schöneres gibt es nicht." Die Motivationsrede fruchtet und wir erarbeiten uns zu Beginn die Feldüberlegenheit, ohne allerdings Torgefahr zu entwickeln. Ndanda ist hingegen besonders bei Standardsituationen gefährlich. Tore sollten während der unglaublich schwül-heißen 90 Minuten keine fallen. Ein letztendlich leistungsgerechtes 0:0 bei mittelprächtiger Mannschaftsleistung. Bedenkt man, dass uns zwei klare Elfmeter verwehrt und ein knappes Abseitstor nicht gegeben wurde, kann man einigermaßen zufrieden in den Bus steigen. In Tansania sind Auswärtsspiele durch die lange Reise immer doppelt schwer zu gewinnen. Entscheidend ist für uns, den direkten Konkurrenten zumindest auf Distanz gehalten zu haben. Das Signal an das Mwanza Rathaus, den Sekt für den abgewehrten Abstieg einzukaufen, kann so aber nicht gegeben werden.



Den Abend wollten wir gemeinsam bei einem Bier oder einer Soda ausklingen lassen, doch einer unserer Spieler war an der Stadtgrenze in ernste Handgreiflichkeiten verwickelt. Die große Studentenparty war nur für Studierende gedacht, womit er wohl nicht komplett einverstanden war. Studiert der Mann nicht auch das Leben? Letztendlich hat ihn ein kleiner Fausthieb eines Security-Guides die Flausen ausgetrieben. Es gab keine große Verletzung und am nächsten Tag um 04:00 Uhr konnten alle die Rückreise über Daressalam nach Mwanza antreten. In der Millionenstadt hielten wir für eine Nacht und bezogen sogar eine Unterkunft. Ein großes Bett, in das selbst die Füße noch mit reinpassen und ein eigener TV. Ich schaue das Spiel African Lyon gegen Mtibwa Suagar, dass 2:2 endet. Irrer Luxus! Viele Spieler besuchen ihre Familien oder Verwandte und schlafen in den eigenen vier Wänden. Um 03:30 Uhr schreckt mich plötzlich mein verhasster Wecker aus den Träumen und erinnert schonungslos an die Strapazen des kommenden Tages. Die Reise ist eine Zumutung, sollte heute aber ihren Höhepunkt finden. Nach einer eiskalten Dusche mit robuster Kernseife - typisch tansanisch - trottete ich aus dem Guesthouse zu unserem Bus. Begleitet von der gewaltigen Stimme des Muezzins, der die Gläubigen über Mikrophone zum Gebet aufruft. Ich sollte der erste sein. Vollständig versammelt war unsere Mannschaft um 05:00 Uhr. Also eine Stunde später als gedacht. Losgefahren sind wir um 06:30 Uhr. Die Busfahrer haben verschlafen und niemand wusste, in welchem Guesthouse unsere Mandazi-Liebhaber sich aufhielten. Wie heißt es so schön: Die Europäer haben die Uhren, die Afrikaner die Zeit!


Man darf auf die letzten 12 Wochen der Saison 2016/2017 mächtig gespannt sein. Der Abstiegskampf ist brutal eng und Toto hat ein noch härteres Restprogramm vor der Brust. Heimspiele gegen das Simba-Star-Ensemble und die Saccharosetruppe aus Kagera - wahrlich kein Zuckerschlecken! Zudem drei aufreibende Auswärtsschlachten gegen den Meisterfavoriten Yanga, gegen den schwerreichen Azam-Club (der tansanische RB Leipzig) und Mtibwa Sugar! Somit treffen wir in den verbleibenden acht Spielen auf die fünf besten Teams der Liga. Uns schlackern nicht die Knie, aber Siege gegen die direkten Konkurrenten - Majimaji (A), Mbao (H) und JKT Ruvu (H) - sind Pflicht, um die Klasse zu halten! Im Azam-Cup, dem tansanischen Pokal, sind wir noch mit von der Partie. Ein klasse Beiwerk und gut für die Moral, die Konzentration gilt aber ausschließlich der Liga. Am nächsten Montag, den 20.02.2017 findet das nächste große Finale statt: Kagera Sugar kommt in das Kirumba-Colosseum! Bei den Buchmachern ist Kagera der Topkandidat auf den Sieg. Toto sieht das anders.



Viele Grüße aus Mwanza,

euer Tim


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