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Boxing Day in der Vodacom Premier League


Ende Dezember, Vorweihnachtszeit und Heiligabend! Einen festlich gedeckten Tisch, rieselnden Schnee, geschmückte Weihnachtsbäume, Kirchenglocken und besinnliche Klänge einer Klaviertastatur suche ich vergeblich. Laut GPS-Anzeige befinde ich mich in Mbeya, im Südwesten Tansanias bei kühlen 23° Celsius. Sudi, unser Red Bull-Junkie und ortskundige Buschauffeur bestätigt die Angabe. Das Ziel der 32 stündigen Tortour ist erreicht. Hätte ich eine medizinisch evaluierte Hochleistungsapp bei meinem Mobilfunkanbieter beantragt (Empfehlung: Java-Körperscanner), so würde mir diese mit Gewissheit eine völlige Paralyse und den Thrombose-Endzustand bescheinigen. Die Zufahrtswege der umliegenden Apotheken inklusive! Das einzige, was ich in dieser Situation will, ist eine eiskalte Limo. Am besten gleich zwei. Vom Verwaltungsbezirk Iringa ausgehend sind wir sieben Stunden non-stop nach Mbeya gebrettert. Auf einem Sandweg wohl bemerkt. Von einem Straßennetz zu sprechen ist Menschen vorenthalten, die sich Sarkasmus und Zynismus auf die Stirn tätowieren. Dennoch kann ich die atemberaubend schöne Landschaft, die Berge und den Duft von frisch aufgebrühtem Tee genießen. Die Stadt zwischen dem Rukwalake und dem Malawilake ist mir vertraut. In der Hinrunde habe ich bereits einige Nächte hier verbracht als wir uns gegen die Tansania Prisoners vorbereiteten. An diesem Wochenende soll Mbeya City Council geschlagen werden.


Die Busfahrt war so, wie ich es erwartet hatte: Komplikationsbehaftet! Verspätete Abreisen sind Tradition. Wieso man diese unbedingt wahren will, verstehe ich nicht. Dem national agierendem Busunternehmen kann an diesem Tag jedoch keine Schuld zugewiesen werden. Das mit abgegriffenen Stickern und unleserlichen Schriftzügen verzierte 50-Seelengefährt traf zur angestrebten Uhrzeit in Isamilo, dem Standort des Spielercamps ein. Nur von unseren Vereinsbossen fehlte jede Spur. Diese sortierten noch in der Toto-Amtsstube die 10.000 Schilling-Noten (ca. 4€), mit denen der gesamte Trip finanziert werden sollte. Dort teilte man mir auch kurzerhand mit, dass Frank Sekule nicht reisen wird. Ein Spieler, den ich bereits in den 18-Mann Kader einberufen habe. Man befand ihn schlicht und einfach für nicht gut genug. Die laufenden Kosten für Essen und Unterkunft werde man für ihn nicht mehr stemmen. Schonungslos - von einem auf den anderen Tag! Gerüchten zufolge suche man hinterrücks bereits nach einem Abnehmer aus der First Division. So etwas findet ohne Rücksprache mit dem Trainerteam statt und lässt einen verzweifeln. Die Spieler werden maßlos enttäuscht. Als Trainer kämpft man jeden Tag für seine Spieler, weiß am Ende aber nie, was dabei rauskommt...


Da wir zwei Stunden später im Bus saßen als angedacht, blieb für das Mittagessen in Buhongwa nicht viel Zeit. Ob Reis mit Fisch, Pommes mit Ei oder Ugali mit Fleisch; alles wurde portionsgerecht in kleine schwarze Tüten gepackt und auf der Fahrt verzehrt. Als Gabel und Messer dienten die Hände, einige behalfen sich mit Zahnstochern, um die Pommes aufzupicksen. Lebensweisheiten "zu Tisch" erhalte ich von Mayilizu, unserem treusten Anhänger. Er nennt mich Yussuf, weil er sich Tim nicht merken kann und beginnt fast jede seiner stündlichen Reden mit den Worten: "Hört zu meine Freunde"! An diesem Nachmittag klärt er mich über seine Hobbys auf, die man ganz nach christlichem Glaubensgut auf Fleisch, Alkohol und Frauen beschränken kann. Höchste Zeit also, dem Mann die Freundschaft anzubieten. Unser feinfühliges und stichhaltiges Streitgespräch über die Emanzipation der Frau in tansanischen Dörfern war kurz davor Kultstatus zu erlangen als plötzlich ein lautes Geratter und Geknatter die Luft durchschnitt. Der zweite Busfahrer hat eine Art innere Motorhaube während der Fahrt geöffnet und tröpfelt ein Gemisch aus einer braunen Dosen auf die heiß gelaufenen Metalldrähte. Irgendetwas scheint nicht in Ordnung zu sein, aber niemals wird der Bus angehalten. Niemals versichert man mir. 15 Minuten später halten wir am Straßenrand... Ein anderes Mal halten wir eine halbe Stunde, weil es regnet. Stark regnet. Die Scheibenwischer haben ihren Geist aufgegeben. Neue findet man nur in den Großstädten. Wir kaufen an einem Kiosk Seife und verteilen diese auf der großen Windschutzscheibe. So geht die Fahrt weiter.


In Mbeya belegen wir in eine Unterkunft, die uns pro Nacht 5€ kostet. Luxuriös eingerichtet ist es nicht, aber man hat mit einem Bett, einem intaktem Moskitonetz und einem kleinen Bad alles, was man benötigt. Bis zwei Uhr nachts schallt laute Musik aus den Boxen der vielen Restaurants bis in die letzten Winkel der Stadt. Ich bin so erschöpft, dass ich es kaum wahrnehme. Die Trainingseinheiten müssen auf äußerst schlechten Fußballplätzen stattfinden. Einer ist durch ausgetretene Gehpfade und einem Steinkreis in der Spielfeldmitte kaum bespielbar. Dabei kann man den 1 Meter hohen Grenzstein im Sechzehnmeterraum fast schon unerwähnt lassen. Wer bitte buddelt das Ding da ein oder baut einen Fußballplatz umher? Ausschließlich das Abschlusstraining einen Tag vor dem Spiel findet im Sokoine Stadium, der Spielstätte Mbeyas statt. Einige Spitzel des Gegners haben sich unter die Zuschauer gemischt. Einer von ihnen ist Mrisho Ngasa, der Sohn unseres Co-Trainers. Dieser hat bereits in einigen arabischen Ländern und zuletzt in Südafrika seine Schuhe geschnürt, läuft ab der Rückrunde aber für Mbeya City FC auf. Fast 100 Länderspiele auf dem Buckel und zwei Schneidezähne aus Gold zieren die Vita und äußere Erscheinung des Flügelstürmers. Auf ihn werden wir besonders Acht geben müssen.


Das Spielkonzept und die taktische Ausrichtung gab ich nach dem Pre Match Meeting bekannt. Nach Abschluss meiner Rede bereiten sich die Kicker mental auf das Spiel vor, essen etwas leicht Verdauliches und haben Zeit Fußballschuhe, Trikots und Stutzen für ihren Einsatz zu präparieren. Ich hingegen erhalte eine unangemeldete Einladung. Eine Einladung zu einer kleinen Unterkunft, in dessen TV-Raum sich bereits einige Vorstandsmitglieder und Fans in die alten Ledersofas gepflanzt haben. Wieder eines dieser Meetings, in denen man nochmals versucht Einfluss auf die Mannschaftsaufstellung zu nehmen. Dieses Mal haben die Männer sich etwas Originelles einfallen lassen: Man hat die Trikots der Spieler eingesammelt, um diese mit Voodoo-Zauber zu segnen oder ihnen Salben an die Nähte zu schmieren. Lusajo, Stammspieler und tief gläubiger Christ, habe seine Spielkleidung nicht rausrücken wollen. Demnach sei sein Einsatz nicht zu rechtfertigen. Er zerstöre den Teamgeist, wisse nicht um die afrikanischen Traditionen und nehme bewusst eine Niederlage seines eigenen Teams in Kauf. Normalerweise sollte man loslachen, aber die Lage ist ernst. Das Resultat der 45-minütigen Diskussion: Lusajo spielt! Einige Mitglieder wirken verstört, können es nicht fassen, wie ein Spieler so "dumm" sein kann...


Als wir mit dem Bus ins Stadion einfuhren, dröhnten schon laute Schlachtgesänge von den Rängen des 20.000 Zuschauer umfassenden Fußballkolosseums. Diese kamen aus den Lautsprecherboxen, die man auf einem leerstehenden LKW-Anhänger platziert hat. Die lila-weiß gekleideten Fans bewegten sich im Hintergrund gekonnt zu ihren afrikanischen Tänzen. Eine überragende Stimmung schon zu Beginn des Aufwärmens. Die 90 minütige Fußballschlacht war diesem Spektakel ebenbürtig. Tempofußball ohne Pause! Beide Teams brachten sich immer wieder in aussichtsreiche Schusspositionen, verfehlten aber das Tor oder blieben an den glänzend aufgelegten Torhütern hängen. Eine Schande und kaum zu glauben, dass nach Schlusspfiff beide Tornetze unberührt blieben. 0:0 - ein Ergebnis, mit dem man auswärts zufrieden sein kann. Das Spiel wurde nicht live im Fernsehen übertragen, weshalb auch die Schiedsrichter der Heimmannschaft gerne mal den ein oder anderen Vorteil verschaffen. Ich hätte glücklich im Nachtclub feiern können, wäre meine Weihnachtsbescherung nach der Pressekonferenz nicht so üppig ausgefallen. Meine Tasche war verschwunden! Von der Trainerbank! Inhalt: 170€, eine Kamera und meine Kreditkarte. Ich lasse die Dinge ungern im nur unzureichend bewachten Guesthouse liegen. Die Alternative Trainerbank ist wohl auch nicht besser. Niemand konnte mir sagen, wo die Sachen geblieben sind. Die anderen Trainer, unser Doktor, der Kit-Manager, der Spokesman usw. nahmen die Fans von Mbeya ins Kreuzverhör. Unser Chairman vermutet hinter vorgehaltener Hand sogar, dass einzelne Toto-Mitglieder oder gar Toto-Trainer in den Diebstahl involviert sind. Ich weiß es nicht, ebenso wenig die tansanische Polizei... Dennoch stoße ich abends auf ein Bier mit Cuthbert an. Biermarke Kilimandscharo. Wenn man ihn nicht besteigen kann, muss man ihn halt trinken!


Gerne hätte ich in der Gegend noch einen Berg bestiegen oder mich über die nahe gelegene Landesgrenze zu Sambia begeben, doch das nächste Saisonspiel geht direkt am nächsten Wochenende in Mwanza über die Bühne. Das Toto-Feuerwerk wird einen Tag nach Silvester gezündet. Wir empfangen Stand United im Kirumba Stadium am ersten Tag des neuen Jahres.



Liebe Grüße aus Mwanza

euer Tim


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