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Rückrundenauftakt in Shinyanga


Nach dem letzten Meisterschaftsspiel gegen JKT Ruvu am 06. November dauerte die Saisonpause bis zu diesem Wochenende an. Ein Auswärtsspiel in der Region Shinyanga gegen Mitabstiegskandidat Mwadui FC. Die Vorbereitung auf dieses Spiel bot das übliche Toto-Chaos. Zunächst hieß es von der Vorstandsebene, dass wir uns am Freitag um 08:00 Uhr in den Bus setzen, um am Abend das Abschlusstraining im Mwadui-Komplex stattfinden lassen zu können. Nach einem kurzen Finanzcheck lenkte man tagszuvor dann ein: Wir reisen lieber am Abend, das Geld für die Unterkunft kratzen wir schon zusammen. Auch daraus wurde nichts! Ein leeres Versprechen, wie so häufig in den letzten Tagen. Dass wir am Spieltag dann drei Stunden Fahrt in den Knochen haben, nimmt man in Kauf. Die Fahrt im Mini-Bus verläuft nach Plan, nur nicht ganz reibungslos - meine Knie sind durch die zu kleinen Sitze ordentlich aufgescheuert. Die aus Asien importierten Benzinmäuler sind eindeutig zu klein, werden von den Spielern allerdings anstandslos akzeptiert. An der großen Verbindungsstraße von Mwanza nach Shinyanga nahmen wir mittags Wali Kuku (Reis mit Hähnchen) zu uns. Morgens im Spielercamp gab es nur Tee mit Toastbrot ohne Aufstrich. Etwas dürftig und in der westlichen Welt wohl nicht unter Sportlernahrung bekannt. In einer kleinen Unterkunft namens Paradise fand die abschließende Besprechung vor dem Spiel statt. Die Spieler sitzen auf dem Boden oder sie stehen. Es gibt nur sechs Stühle und eine vom Wackelkontakt geplagte Glühbirne. Wie das Guesthouse ihren Namen rechtfertigt, frage ich nicht. Alle tragen bereits ihre Spielkleidung und passende Flip Flops; die Fußballschuhe lässig in der Hand. In den Stadien Tansanias gibt es zwar Umkleidemöglichkeiten, aber keine Duschräume. An die Rückfahrten gewöhnt man sich...


Zum Spiel selbst: In den ersten Minuten drängt Mwadui uns mit Vollgasfußball in die eigene Hälfte. Tore wollten zu unserem Glück keine fallen. Dabei haben sie mit Tegete einen Pfund an Stürmer in ihren Reihen. Die Mannschaft wird von Goldgräbern finanziert und hat in der Winterpause einen neuen Trainer angeheuert. Ob der Mann aus Sansibar Pfeffer in die Truppe bringt wird sich noch zeigen. Auch Toto schlug in der Ligapause zu, als befände man sich auf einem Flohmarkt. Neun neue Spieler wurden verpflichtet. Unser Spokesman ist dafür extra nach Daresalam gedüst, um im TFF-System die neuen Eintragungen vorzunehmen. Vor Reisebeginn war unklar, ob alles ordnungs- und zeitgemäß beim Verband registriert wurde. Im Pre-Match Meeting dann die Entwarnung - alle sind spielberechtigt. Co-Trainer Ngassa und ich beorderten aber nur einen Spieler in die Stammelf. Kasanga, ein defensiver Mittelfeldspieler, der zuletzt in Mosambik die Knochen hingehalten hat. Ein robuster Zweikämpfer! Aus dem selben Holz wie Gennaro Gattuso. Verhindern konnte er das Tor des Tages leider nicht. In der 70. Spielminute war es Salim Khamis, der das Spielleder aus guten 20 Metern dermaßen platziert ins linke Toreck drosch, dass unser Torwart Mussa nur verdutzt hinterherschauen konnte. Und das in einer Phase des Spiels, wo wir dem Führungstreffer eindeutig näher waren. Die Zuschauer jubelten ausgelassen, zwei völlig verrückte und vom Konyagi beflügelte Fußballliebhaber übertrieben dafür aber ohne Gnade. Sie sprangen mit Anlauf kopfüber in eine grau-schwarze Schlammbrühe. Eine Pfütze direkt neben dem Spielfeld. Was für Emotionen! Auswärts ist die Punkteausbeute von Toto noch ausbaufähig: mickrige sechs Punkte holten wir. Erinnert mich an meine Latein-Note im Abitur. Ein weiterer Wermutstropfen war der Verlust unseres Offensivspielers Jamali, der nach einem harten Zusammenstoß unter Tränen vom Platz gestiefelt ist. Bis in die Coachingzone hat er es geschafft, dort ist er zusammengebrochen. Unser Doktor war hilflos, ist er an guten Tagen doch nur mit Eis ausgestattet. Mit dem Ambulanzwagen ging es gemächlich ins Hospital, in dem weitere Untersuchungen eingeleitet wurden. Nach Spielende warteten wir mit versammelter Mannschaft vor dem Röntgenraum und warteten auf die Diagnose. Stirnrunzeln beim Accountant! Man befürchtete hohe Kosten. Der behandelnde Arzt fand nichts ungewöhnliches, empfiehlt aber einen Tag zu ruhen und am Folgetag den Bus zu nehmen. Alle stimmen zu, nur Jamali selbst will wieder in den Bus steigen...


An den Fans gelegen hat es bestimmt nicht. Meine Wazungu-Freunde von der Sports Charity organisierten für den Spieltag einen Bus, luden Toto-Fans zur kostenfreien Mitfahrt ein und brüllten sich gemeinsam die Seele aus dem Leib. Ganz großes Kino! Ausgestattet mit einer großen Trommel, Tröten, einem Lautsprecher und kräftigen Stimmbändern. Unser Team wurde beim Einlaufen gefeiert, im Spiel nach vorne gepeitscht und nach dem Schlusspfiff trotz Niederlage für ihre Leistung gefeiert. Gänsehautmomente als sich selbst Mwadui Fans der Party anschlossen. Die Kinder liebten es! Von der gerissenen Seite zeigte sich allerdings wieder ein Mitglied unserer Vorstandsebene. Die Kameraleute von AzamTV fragten ihn nach einer Mitfahrgelegenheit auf der Reise zurück nach Mwanza. Kein Problem: Gegen einen Aufpreis von 5000 Schilling pro Person wird sogar ein Sitzplatz garantiert. Das Geld wandert natürlich nur in die Taschen des Verantwortlichen, kommt Toto also niemals zugute. Dabei war der Bus gesponsert! So will man sich also selbst an einer Spende noch bereichern. Als wir abends im Camp angekommen, hat immer noch keiner was gegessen. Und das nach diesem intensivem Kraftakt! Ein Koch ist nicht mehr da, alle steigen todmüde ins Bett... Am Sonntag beobachteten wir unseren Gegner Stand United, auf den wir in zwei Wochen treffen werden. Stadtrivale Mbao behielt in der zähen Partie die Oberhand und bunkerte drei wichtige Punkte im Abstiegskampf. Toto muss aufpassen, dass die Fans nicht ins andere Lager laufen, zum derzeit erfolgreichen Lokalmatadoren

Heute morgen wollten wir bereits um 07:00 Uhr mit dem Training beginnen. Endlich wieder im Kirumba Stadium. Endlich wieder Tore mit Netzen. Ich war der Erste vor Ort, wollte mit dem Aufstellen einiger Hütchen beginnen bis mich plötzlich eine Hand von hinten an der Schulter fasste. Die Worte des herzensguten Stadionmanagers waren folgende: "Remove, Toto Matatizo, Alliance, Alliance, Alliance!" Okay ich verschwinde ja schon, die Frage ist nur warum! Wurde uns doch gestern versprochen, hier trainieren zu können. Als Ngassa, Torwarttrainer Juma und Kit-Manager Selemani eintrafen, kam Licht ins Dunkle. Der Zweitligist Alliance Sports spielt heute Abend. Das bedeutet im Klartext: Irgendwelche Voodoo-Zauberer haben dem Platz in der Nacht bereits magische Kräfte zugeführt, die auf keinen Fall zerstört werden dürfen. Mich wundert am meisten, das alle verständnisvoll nicken. Eine wirkliche Trainingsalternative haben wir nicht, alle anderen Plätze sind entweder belegt oder zu weit entfernt. Einen Kraftraum haben wir nicht, Laufschuhe auch nicht... Wir spielen hinter dem Tor auf einer Mischung aus Gras, Steinen, Sand und Glasscherben kleine Spiele, Passübungen und machen Stabilisationsübungen. Die Umstände sind der Wahnsinn - nach dem Training beten wir und bedanken uns bei Gott für das gute Training. Der am Wochenende noch verletzte Jamali war bereits wieder mit von der Partie. Unglaublich, bisher sind wir von wirklich schweren Verletzungen verschont geblieben. Morgen machen wir uns mit 18 Spielern auf die Reise nach Mbeya, wo wir am folgenden Wochenende auf Mbeya City Council treffen. Eine Fahrt über 24 Stunden...


Ein ganz besonderes Erlebnis durften letzte Woche unsere beiden Wachmänner erleben. Als kampfbereit oder kampferprobt kann man sie nicht beschreiben. Das wäre zu viel. Moses und George sind eher Spaßvögel, wie sie wohl nur Tansania hervorbringen kann. Der eine wünscht sich nichts sehnlicher als eine Frau aus Europa, der andere begnügt sich bereits mit einer Zigarette am Abend. Ungeahnte Euphorie brandete bei beiden aber auf, als wir ein gemeinsames Gruppenfoto vorschlugen. Die Jungs sprangen vor Freude im Dreieck und einer küsste unsere Hauswände. Prompt installierte Profi-Fotograf Antonio seine Kamera. Im Blitzlichtgewitter machten unsere Rafikis die kreativsten Bewegungen und grinsten um die Wette. Als ich ihnen am nächsten Tag vier ausgedruckte Exemplare vorlegte, fingen beide vor Freude an zu tanzen. Es ist wohl das erste Mal in ihrem Leben, dass sie sich selbst auf einem Foto sehen! Immer wieder bedanken sie sich, umarmen uns und gaben uns über ein langgezogenes asante sana (vielen Dank) zu verstehen, was das für sie bedeutet. Ein schöner Moment!



Viele Grüße aus Mwanza,

euer Tim





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