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Durst auf Spitzenfußball - Toto kommt ins Rollen


Neben der Vodacom Premier League wird in Tansania auch der Azam-Cup ausgespielt. DFB-Pokal auf afrikanisch! Die Teams der höchsten Spielklasse stoßen erst im Achtelfinale dazu. Die Auslosung bewerkstelligt der Tansanische Fußball Verband auf seine eigene Art und Weise: Töpfe zur Einteilung der Leistungsklasse gibt es nicht, einzig lange Auswährtsfahrten sollen vermieden werden. Wir haben Pech und müssen uns einem hochkarätigen Gegner stellen: Mwadui FC zu - das Team, welches uns zum Rückrundenauftakt bitteren Wein eingeschenkt hat. Die 1:0 Niederlage wollten wir um alles in der Welt wettmachen und in die nächste Runde einziehen. Unser Torjäger Waziri Junior nahm nach vier torlosen Spielen zunächst auf der Bank Platz. Lusajo Reliant gönnten wir einen Platz auf der Tribüne. Ähnlich wie Franz Beckenbauer, der in einem Jahr mal 15 Monate durchgespielt hat, braucht auch unser Flügelstürmer hin und wieder eine Verschnaufpause. Obendrein ruht unser Hexer Bea und lässt Magie, mystische Salben und gackernde Hühner zu Hause.


Als ich 45 Minuten vor dem Anpfiff einige Hütchen für das Warm-Up Programm auf die Rasenfläche stelle, fallen mir zwei wuselig schuftende Malocherfreunde auf, die unverdrossen die Spielfeldmarkierungen ausbessern. Und wie! Der Jüngere schiebt ein rostiges Gefährt mit abgewetzter Bereifung vor sich - der Inhalt ist Kreide. Der Ältere füllt eine Zementtüte mit dem weißen Staub und verteilt diesen mit Hilfe einer aufgeschnittenen Plastikflasche nach allen Regeln der Kunst. Zum Spielstart ist alles angerichtet. In der ersten Halbzeit spielen wir grandios und gehen durch Juvenari früh in Führung. Zwanzig Minuten später hält Mkorea nach maßgeschneiderter Flanke von Kimanzi seine Frisur in den Ball und bugsiert ihn aus guten 18 Metern unhaltbar in das linke Toreck. Die komfortable Führung verspielen wir in der zweiten Hälfte leider durch ein Eigentor und einen großen Schnitzer unseres Torhüters. Kurioserweise wird eben dieser Tormann Kisu im anschließenden Elfmeterschießen zum Held des Abends, als er den entscheidenden Elfmeter zum 7:6 selbst verwandelt. Großartig, wir stehen im Viertelfinale - der Gegner wird noch "ausgelost"!


Die für Samstag vorgesehene Ligapartie gegen African Lyon aus der Millionenmetropole Dar es Salaam ist kurzfristig drei Tage vorgezogen worden. Der kriselnde Club hat zu Rückrundenbeginn seinen Hauptsponsor verloren, ist von Finanzproblemen gebeutelt und erbat daher eine frühere Spielansetzung. So können die wilden Löwen früher wieder aus Mwanza abreisen und Geld für die Unterkunft sparen. Toto stimmte zu. Kurioserweise hatte der tansanische Fußballverband dann die grandiose Idee, den Anpfiff auf 14 Uhr festzulegen. In Tansania ist das ein Todesurteil – die brütende Hitze ist kaum auszuhalten. Nach Klage unseres Vorstands konnten wir den Anpfiff um zwei Stunden hinausschieben. Das sollte sich bezahlt machen.


Wir spielten Vollgasfußball und erarbeiteten uns eine Chance nach der anderen. Am Ende hieß es 3:0 für uns. Eine riesige Erleichterung! Seit 5 Pflichtspielen sind wir nun ungeschlagen. Besonders Juvenari strahlte die Sonne aus allen Poren. In der Winterpause zum Team gestoßen, hat er mit zwei Torerfolgen maßgeblichen Anteil am Sieg. Jamali traf zum zwischenzeitlichen 2:0 per Strafstoß und ist nun der beste Torschütze von Toto African. So fuhren wir den höchsten Sieg in dieser Saison ein, hätten bei besserer Effizienz auch noch höher gewinnen müssen. Wir liefen in folgender Aufstellung auf: Musa – Yusuph A., Jaffari, Malima, Yusuph M. – Chuku, Juvenari, Hamisi, Mkorea – Kimanzi, Jamal! Derzeit haben wir 20 Punkte nach 20 Partien auf dem Konto und verlassen nach langer Zeit die Abstiegsränge. Ein unbeschreiblich gutes Gefühl! Dennoch ist gewaltige Vorsicht geboten. Die Tabelle liegt so nahe zusammen, selbst den Sechstplatzierten trennen nur fünf Punkte von einem Platz in der Hölle. Der Chairman ruft nach dem Spiel an und beglückwünscht mir zu den drei Punkten und der starken Spielleistung.


Das nächste Kräftemessen findet erst am 06. Februar gegen die Militärauswahl Ruvu Shooting statt. Zeit genug für Toto die Geldbörse aufzubessern. So organisierte ein Teil der Vereinsbosse für das Wochenende direkt zwei Testspiele im Dorf Itabagumbe. Die Anfahrt, die Verpflegung und die Unterkunft bezahlt ein Sponsor, Toto kann sparen. Als unser Chairman von dem Trip hörte war er fuchsteufelswild. Ohne sein Wissen wurde geplant. Wir hätten noch ein wenig Geld in der Scple, eine Auswährtsfahrt sei vermeidbar gewesen. Der Mann weiß über den sportlichen Knacks, dem Motivationsknick und der erhöhten Verletzungsgefahr, welcher man auf den schlechte Plätzen in Fischerdörfern ausgesetzt ist. Auch wir Trainer wurden hintergangen. Die Organisatoren auf Seiten Toto Africans wollten sich höchstwahrscheinlich an den Spielen selbst bereichern und Eintrittsgelder in die eigenen Taschen wandern lassen.

Das Guesthouse im Dorf ist akzeptabel. Lediglich das Duschen mit einem Eimer kaltem Wasser direkt über der afrikanischen Toilette ist makaber. Zu Essen gibt es reichlich Fisch, Reis, Ugali und Soße. Von Gemüse hält man wenig und auch Obst ist schwer aufzutreiben. Das Stadion ist eingerahmt von Häusern und erinnert in abgeschwächter Form an das Campo de Fútbol de Vallecas in Spanien. Leider ist es zu unserem Testspiel nur spärlich gefüllt. Simba spielt zeitgleich und die Fußballfans schauen lieber ein rassiges Premier League Match im TV als einen müden Kick auf dem Marktplatz. Passend zur Gesamtsituation verlieren wir gegen die Lokalauswahl mit 1:0.


Am Abend beklagen sich Yusuph und Mhando über muskuläre Probleme, Malima hat Malaria. Vier weitere Spieler sind aufgrund familiärer Schwierigkeiten gar nicht erst angereist. Bei allen liegt ein Familienmitglied im Sterben. Sudi ist hingegen dabei, obwohl seine Frau wenige Stunden zuvor ein Kind zur Welt brachte. Verrückter Ehrgeiz! Unserem Rumpfkader gab ich am Sonntagmorgen trotz der Niederlage frei. Die Spieler sollen regenerieren, da am Abend bereits der nächste Kick auf sie wartet.


Bei frischem Chapati und heiß aufgebrühtem Tee in der lokalen Imbiss gesellte sich ein Einheimischer von untersetzter Statur zu mir und weihte mich, dem ersten Mzungu auf diesem Landfleck, in die Traditionen und Legenden des zwergenhaften Fischerdorfes ein. Halb auf Swahili, halb auf auf Sukuma (die Sprache der Einheimischen in der Region des Viktoriasees). Ich verstehe logischerweise nur Bahnhof, bis Juma Mhina, ehemaliger Nationalspieler Tansanias und jetziger Torwartguru der Toto Africans mich aufklärte: In Itabagombe gibt es eine riesige Steinformation im Schilfdickicht des Sees, welcher als Heiligstätte und Pilgerort für die willigen Frauen der Umgebung gilt. Bleiben Schwangerschaften erfolglos betet man den Stein an - neun Monate später kann das Familienoberhaupt dem Stammbaum neue Äste hinzupinseln. So die Theorie! Nach einer kleinen Runde über dem Markt, bei dem mich alle Kinder anschauen, als sei ich ein Außerirdischer, setzen Juma, Simon (ein Toto Fan und Freund aus der Sports Charity Mwanza) und ich uns auf die Motorradtaxis und düsen für den Gesamtbetrag von 1,20 € zum etwa vier Kilometer entfernten "tanzendem Stein". Große Enttäuschung vor Ort. Keine flehenden Schreie der vom Schicksal gepeinigten Damen. Wohl dem Nachwuchs!

Stattdessen lud man uns ein, in einem selbst zusammengebasteltem Holzboot (eher Nussschale) zu einer winzigen Insel des Viktoriasees zu schiffen. Zwischen Zuckerrohr, Riesenwelsen und einem klapprigem Drahtesel zwängten sich ein Dutzend Inselbewohner auf die instabilen und von Feuchtigkeit durchdrungenen Sitzbretter. Ich nahm auf dem Dach Platz und lauschte den Klängen alter Kongomusik, die aus der antiken Mikrophonsprechanlage drang. Der starke Wellengang ist das Sahnehäubchen. Ich fühle mich wohl.

Die Insel wird dominiert von Fisch - so weit das Auge reicht, nichts als Fisch! Selbst auf dem staubigen Sandboden trocknet man die Meeresbewohner in der sengenden Hitze. Die Bewohner sind überfreundlich und machen bei der Begrüßung sogar einen Knicks in der Form, wie sie mir vor Jahren der Pfarrer zur Beichte einbläute. Die Frauen schauen meist schüchtern zu Boden, die Männer schmieden Hochzeitspläne - sie wollen mich ohne Umschweife mit ihren Töchtern verkuppeln. Einige Aasgeier kreisen über dem Riff, am Horizont scheint es zu brennen. Nach genauerem Hinsehen wird klar: Es gibt kein Feuer, es ist kein Festland zu sehen; ausgedehnte Insektenschwärme rasen wie ein fliegender Teppich über die Weiten des Sees, der so groß ist wie das Bundesland Bayern. Streift diese schwirrende Kleintiermeute die Insel, hilft nur Wegducken! Der Sprint zur Felsenlandschaft bleibt mir erspart, die Tiere suchen sich einen anderen Weg.

Die Rückfahrt kostet umgerechnet 25 Cent. Ich habe nur einen 10.000 TZS - Schein (die höchste Note in Tansania), was einer Summe von 4 € entspricht und bezahle den freundlichen Geldeintreiber auf dem Holzboot. Auf Rückgeld warte ich vergeblich. Der Mann ist mit dem Vermögen wieder auf die Insel geflüchtet und bunkert seinen Reichtum. Für Torwarttrainer Juma, dem nachgerückten Zauberer Bea und dem schlacksigen Kit-Manager Sele von Toto ist das zu viel des Guten. Trotz Zeitdruck wegen des angesetzten Freundschaftsspiel klettern die vom Zorn getriebenen Männer über eine krumme Leiter zurück aufs Land und starten die Suche nach dem Kleinkriminellen. Umherstehende wedeln mit ihren Händen in alle Richtungen und spielen Wegweiser - die ganze Insel ist binnen weniger Minuten in Aufruhe. Wir rennen um die Häuser, bis ich plötzlich den Langfinger vor mir liegen sehe. Der über 60-Jährige Juma hat ihn nach eigenen Worten umgetackelt und reißt ihm gerade fast die Innentaschen der ausgebeulten Schlaghose heraus. Bea droht ihm mit Faustschlägen und ein aufmerksamer Inselbewohner reckt einen geschnitzten Schlagstock in die Luft, um dem Sünder damit die Flausen auszutreiben. Versuche die Situation zu deeskalieren sind vergebens. Erst als der aus der Lippe blutende Dieb einen 5.000 TZS auf den Boden wirft, geben unsere drei Toto- Kameraden Ruhe. Auf der Rückfahrt gehen wir fast über Bord, mich verstört und verängstigt der Zustand mehr, dass unser Torwarttrainer wegen eines 4 € Diebstahls töten wollte. Kritische Nachfragen, ob er den Totschlag wirklich als geeignete Wahl der Methode ansieht, bestätigt Juma mit einem gewissen Stolz in der Stimme. Meine Stoppuhr hätte die 3 Minuten- Marke nicht überschritten, dann könnte die Insel Blumen für das Begräbnis bereitstellen.

Das zweite Testspiel gewannen wir standesgemäß mit 2:0 nach Toren von Mkorea und Torwart Musa (per Elfmeter). Am Abend sahen wir den 1:0 Erfolg von Ägypten über Marokko im Viertelfinale der Fußball-Afrikameisterschaft auf einer kleinen Leinwand und gingen danach frühzeitig in die Koje. Um 04:30 Uhr in der Früh ließ der Busfahrer bereits den Motor aufheulen und startete das Gefährt in Richtung Fähre. Nun sind wir zurück in Mwanza und bereiten uns akribisch auf den nächsten Gegner vor. Ruvu Shooting kann kommen!


Unterdessen eine Eilmeldung über den Tansanischen Fußball: Der Torwart von Kagera Sugar ist vor einigen Stunden verstorben. Auch unsere Mannschaft ist tief betroffen - die Spieler kennen sich natürlich.


Liebe Grüße aus der Rock City Mwanza,

euer Tim



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