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Afrikanische Transferpolitik

Konfuzius beschreibt den Weisen als jemanden, der sich auch in der Not nicht ändert! Der Club Toto African plant jedoch nach der dürftigen Punkteausbeute in Runde 1 eine Kaderumwälzung die seines Gleichen sucht! Spieler, die bis dato weniger als 50% Einsatzzeit hatten sollen ohne Gnade gestrichen werden! Diese seien schlichtweg zu schlecht für die Premier League! Und zusätzlich will man sich von ein paar Spielern distanzieren, dessen einfache Anwesenheit bei manchen Vereinsmitgliedern schon unangenehm aufstößt. Vereinsinteressen werden von persönlichen Interessen untergraben - stets und überall. Zu Beginn der Verhandlungen standen ganze 8 Spieler eines 23-Mann Kaders auf der Streichliste! Im Gegenzug will man 12 neue Spieler transferieren. Unglaublich, wenn man die finanzielle Schieflage betrachtet. Wahnwitzig, wenn man die aussortierten Spieler weiter bezahlen muss - die haben ja alle einen 1-Jahresvertrag! Einen neuen Verein werden sie in der Kürze der Zeit nicht finden können. Über die neue "Qualität" im Kader ganz zu schweigen!


Zur Erklärung: Nach Abschluss der Hinrunde setzen sich, wie wohl in jedem Verein, die Vorstandsebene zusammen und analysiert die aktuelle Situation des Vereins. Dafür gibt es bei Toto extra ein Komitee. Das habe ich vor zwei Wochen herausgefunden. Nirgends ist eine Übersicht oder ein Dokument zu finden, in dem aufgelistet ist, wer welche Position im Verein einnimmt. Chaos ist vorprogrammiert, Strukturen können kaum entstehen. Selbst Personen mit einem hohen Posten können einem nicht genau aufzeigen, wer genau wofür verantwortlich ist. Es läuft alles irgendwie und am Ende klappt es auch irgendwie.


Schön und gut, ich weiß jetzt, dass es eine Gruppe gibt, die sich zusammensetzt und die Entscheidungsgewalt über Neuverpflichtungen hat. Mitglieder sind unserer Sekretär, der Chairman, drei Fans (ein durchgehend rauchender Rasta, ein Liebhaber starken Gerstensafts und ein zahnloser Fußballhistoriker) und einige Mitglieder, die mal dabei sind und mal nicht. Zwei enorm wichtige Säulen des Vereins, die stets auch ein Auge auf die Ausgaben und Einnahmen des Vereins hatten, sind leider nicht mehr von der Partie. Sie wurden kurz zuvor einfach rausgewählt, da sie in Verhandlungen wohl zu hartnäckig seien. Offiziell mitgeteilt hat man ihnen das nicht, man lädt sie einfach nicht mehr ein. Ich versuche als Trainer der Gruppe beizutreten und in den Gesprächen einen klaren Standpunkt zu vertreten. Die Diskussionen gestalten sich jedoch äußerst schwierig und langwierig, da nur wenige Englisch verstehen. So reden einzelne mehr als fünf Minuten auf mich in Swahilli ein, ohne dass ich den genauen Sinn dahinter verstehe. Meine Forderung ist klar: Nur wenige Veränderungen vornehmen! Gründe: Ich bin vom aktuellen Spielermaterial überzeugt und wir haben kaum Geld, um uns irgendetwas zu leisten. Wie soll überhaupt ein neuer Spieler bezahlt werden? Hungerstreiks und Spielerstreiks drohen. Es nützt niemandem etwas, viele Spieler in der Mannschaft zu haben, wenn diese aber nichts zu beißen bekommen. Außerdem waren die Spieler in der Selektion und die vom Board vorgeschlagenen Spieler keinen Deut besser als, diejenigen, die wir bereits haben.


Meine Finanzsorgen werden direkt abgewiegelt. Man sei kurz vor Vertragsabschluss mit einem neuen Sponsor. Mit dem Geld könne man ruhig schon planen. Die Spieler, die gestrichen werden sollen, fänden schon einen neuen Verein und falls nicht, bezahle man sie halt hin und wieder. Klagen beim Tansanischen Fußballverband stoßen hier nicht auf fruchtbaren Boden! Die neuen Spieler seien alle günstig zu haben, weil sie sich ja beim Verein anbieten. Die zwei Köche im Camp habe man auch schon ersetzt. Man hat welche gefunden, die es für noch weniger Geld machen. Unser Kit-Manager darf sich auch nicht mehr Teil der Technical Bench schimpfen. Dieser forderte sein Gehalt ein, welches ihm seit zwei Monaten zusteht! Tja, das hätte er besser nicht tun sollen...


Einen Spieler konnte ich im Endeffekt retten, der sonst auf die Straße gesetzt worden wäre. Das Komitee wollte unseren Kapitän entlassen, unseren erfahrensten Spieler, unsere Schaltzentrale im Mittelfeld und unseren besten Distanzschützen. Für mich unverständlich. Man erzählte mir, der Spieler hätte jetzt eine Langzeitverletzung und würde nie wieder zu alter Form zurückfinden - ein Telefonat mit dem Betroffenen widerlegte die Geschichte. Von einer Verletzung keine Spur! Der Chairman schmunzelte nur verlegen und erklärte mir unter vier Augen, dass einzelne Mitglieder ebenfalls gute Spieler auf derselben Position kennen und nun versuchen diese im Kader zu platzieren. In der Hoffnung am Ende einen kleinen Anteil vom Gehalt des neuen Spielers einzusacken - immerhin hat der Fan ihn ja in den Kader "geschmuggelt". Manche Mitglieder haben neben Toto keinen Job und keine andere Beschäftigung. Sie leben für den Club und einige wohl auch von ihm. Für die anderen Entlassungen wurden teilweise ebenso abstruse Ausreden gefunden (Spieler nehmen Korruptionsgelder oder verbreiten schlechte Stimmung im Team). Für sie gibt es keine Chance mehr im Kader und sind inoffiziell gestrichen. Die Entscheidung hat ihnen aber noch niemand mitgeteilt. Ich als Trainer werde es nicht tun; will ich sie ja schließlich im Kader behalten.


Auf Unterstützung durch unseren Co-Trainer Ngassa kann ich in diesen Verhandlungen nicht hoffen. Selbst einzelne Trainingselemente will er sich von Mitgliedern vorschreiben lassen. Frei übersetzt: "Tim, wenn wir nicht Ausdauer klotzen und in den ersten drei Spielen ein Gegentor in der Schlussphase bekommen, kritisieren uns die Fans und machen schlechte Stimmung in der Vorstandsebene! Das könnte uns den Job kosten. Einzelne meinen gar, im Training Hütchen aufzustellen sei eine dumme Idee, braucht man sie im Spiel doch auch nicht. Zweimal täglich den Berg hochsprinten und hoffen am Wochenende den Ball zu treffen gilt als Allheilmittel in der tansanischen Trainingsplanung. Das Spiel spiele ich nicht mit. Nach taktischen Einheiten gehen viele Fans mürrisch nach Hause...


Das Selektionstraining für die Rückrunde lief folgendermaßen ab: Im Radio und in den nationalen Zeitungen wird verkündigt, dass Spieler die Möglichkeit haben bei einem Premier League Team vorzuspielen. Jeder kommt, aber nicht jeder ist willkommen. Einige überschätzen ihre fußballerischen Qualitäten gnadenlos. Ein Spieler hat es nicht mal bis ins Aufwärmen geschafft. Ngassa hat ihn direkt auf die Tribüne verbannt. Seine physische Erscheinung habe ihm nicht gefallen :D Der Verein selbst lädt zusätzlich Spieler aus anderen Regionen des Landes ein, die Gerüchten zufolge herausragende Spieler seien. Ihnen wird das Busgeld für die Fahrt nach Mwanza gezahlt, unseren eigenen Spielern versagt unser Vorstand es gelegentlich. Auch aus Ghana, Nigeria, Kamerun und Mosambik sind Spieler im Stadion anzutreffen. Das übliche Verhalten eines Fußballers natürlich im Gepäck: Der Berater kommt und stellt seinen Schützling in einer Art und Weise vor, die von Poesie nicht einfach zu unterscheiden ist. Einige Spieler kommen bereits vor Trainingsbeginn mit Entschuldigungsprophylaxe: "Trainer heute habe ich Malaria, aber ich versuche alles"! Schmeißt man einen solchen Spieler bei schwacher Leistung dann raus, gilt man als Menschenfeind, nimmt man ihn in die nächste Runde als manipulierbar. Viele schwierige Entscheidungen werden gefällt. Einmal haben wir einen Spieler aussortiert, der nächstes Training wieder dabei war. Auf Nachfragen antwortete man uns, ein einflussreiches Vereinsmitglied habe ihn wieder eingeladen, um ihm eine zweite Chance zu geben! Unglaublich, wie so etwas möglich ist...


Am gestrigen Samstag haben wir unsere zusammengewürfelte Mannschaft dann gegen eine 3. Liga Mannschaft über 90 Minuten getestet. Der Gegner hieß schlicht und einfach Phantom! Unser 1:0 Sieg war wenig überzeugend. Kein Wunder bei dieser chaotischen Vorbereitung. Damals habe ich über Pressemeldungen des Kickers noch gelacht, wenn Werder Bremen auf Ailton warten muss, weil dieser eine Woche länger in Brasilien verweilt. Betrifft es einen selbst und einzelne Spieler reizen bis zu drei Wochen Verspätung aus, ist es weniger witzig. Auf zwei Spieler warteten wir immer noch. Viele neue Spieler sind nicht aufgelaufen, da sie tagsüber nichts gegessen haben. Eine faule Ausrede, so unser Chairman! "Die wollen den Vertrag unterzeichnen und sich direkt am ersten Tag zur Ruhe setzen. Solche Leute brauchen wir nicht. Die Vertragsgespräche geraten ins Stocken. Ich hoffe, dass die nächste Trainingswoche organisierter ablaufen kann. In 6 Tagen ist das erste Rückrundenspiel in Shinayanga gegen Mwadui. Ein Abstiegskracher!


Viele Grüße aus Mwanza

euer Tim



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