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Chancenfestival und Zittersieg gegen kriselnden Busfahrerverein


Gegen Mbeya City spielten wir fantastisch, überzeugten auf allen Positionen, kreierten Chance um Chance, doch das Tor war wie verhext. Ein mageres 0:0 - im Abstiegskampf ist das zu wenig. Platz 15 von 16! Rainer Calmund hatte damals nach dem 1:3 seiner Mannschaft gegen Energie Cottbus das Gefühl beschrieben, was sich mir letztes Wochenende in den Kopf einnistete : „Ich würde am liebsten zu Hause die Rollläden runterlassen, aus der Konservendose essen und mit einem Sack über dem Kopf Feldwege laufen.“ Wir brauchen im nächsten Spiel einfach drei Punkte, sonst sieht es düster aus! Die 30 stündige Rückfahrt am nächsten Tag wirkte ulkigerweise wie Balsam für die geschundene Seele. Die Spieler tanzten und sangen im Bus und verbreiteten ansteckend gute Laune. Ganz nach afrikanischer Lebensart: Kopf hoch, die Zukunft wird rosig.


In der folgenden Trainingswoche legte ich den mannschaftstaktischen Schwerpunkt wieder einmal auf den Angriffsaufbau und das Spiel im letzten Drittel nahe der Strafraumgrenze - Flanken und Torabschlüsse beinahe täglich; Standardsituationen on top! Wer siegen will, darf an den Zufall nicht glauben. Die Mannschaft arbeitete vorbildlich und ging engagiert zu Werke. Unserem Linksverteidiger Chuku platzten im ruppigen Zweikampf gar die Nähte der bereits dünnbesohlten Fußballschuhe. Ich gab ihm meine Stiefel, die zwei Nummern zu groß ausfielen und leitete die abschließende halbe Stunde barfuß. Auch das ist möglich. Die zahlreichen Fans tuschelten und witzelten noch beim Cool-Down über den schuhlosen Mzungu-Teacher.


Nachdem wir am Samstag gemeinsam die Niederlage unseres Erzrivalen Mbao FC auf Azam TV verfolgt haben, konnten wir am Sonntag selbst eingreifen und den Abstand auf die Konkurrenz verringern. Es ist Neujahr, die Menschen feiern auf den Straßen, wir aber geben den Spielern Ausgehsperre. Alle halten sich dran, nur ich ließ mir die Freiheit nicht nehmen auf das neue Jahr kurz anzustoßen. Plötzlich blinkt das Handy, unser Chairman ist dran. Im Hintergrund dröhnend laute Musik. Auch er ist abends/ nachts noch unterwegs, wünscht mir für das morgige Spiel nur das Beste und ist felsenfest überzeugt, dass wir den Platz als Sieger verlassen werden. Er hält eine Dankesrede und lobt die Mzungu-Arbeit in den Himmel. Ob er betrunken oder nüchtern ist, vermag ich nicht zu beurteilen, dennoch gibt es Selbstvertrauen und Motivation sich auch in dieser schwierigen Situation auf Erfolg zu konditionieren. Er lacht ständig, schließt das Telefonat aber mit folgenden Worten ab: "Teacher, beer is good, but no fuck!" Eine Legende.


​Auch von Seiten unserer tatkräftigen Zauberer wurde ALLES gegeben, um Toto auf die Siegerstraße zu lenken. Einer voll im Saft stehenden Ziege durchtrennte man Luft- und Speiseröhre mit einer säuberlich geschliffenen Machete. Eine edle Opfergabe! Den heraussprießenden und letztlich tröpfelnden roten Lebenssaft erntete und hortete der wie in Trance wandelnde Bea in einem vom Staub befreitem, großen Krug. Dem Blut wird eine magische Wirkung zugeschrieben. Folglich verstreuten unsere Magier dieses in der Nacht vor dem sportlichen Wettkampf auf der bereits frisch gemähten Rasenfläche. Die einzige Hürde in der Vollendung des Hexenwerks stellt der Stadionmanager des CCM Kirumba Stadiums dar. Füllt Toto African allerdings die Brieftasche des älteren Herren mit 5.000 TZS (2€), lässt dieser unsere Schwarzkünstler willenlos gewähren. Mayilizu erklärte mir einen Tag später, dass man auch vier frische Hühnereier auf die Kreidemarkierung des Mittelkreises geworfen habe. Welche Vorteile dieser geniale Gedanke in sich trägt, verschleiert der Mann. Umso einleuchtender ist es, pflückreife Zitronen und Orangen mit einer Prise Salz zu nähren und mit der dubiosen "local medicine" zu kombinieren, um das Gemisch im Ankleideraum des Auswärtsteams zu verstecken. Der üble Gestank soll die Hirnleistung lahm legen und die Muskeln erschlaffen. Wird die Anwendung von Zauberei aufgedeckt und beim Tansanischen Fußballverband gemeldet, kann dies eine sündhaft teure Geldstrafe nach sich ziehen. So schoss ein Toto-Mitglied auch eifrig Fotos als er am Sonntagvormittag einen Anhänger von Stand United auf dem Spielfeld erspähte, der zwei Torpfosten küsste und die Torlinie mehrmals mit raumgreifenden Schritten abschritt. Das Ermittlungsverfahren läuft... In Europa lacht man über den Aberglauben. Dennoch sollte der Placebo-Effekt auf keinen Fall unterschätzt werden. Wird jedem Spieler, bevor er den Bus betritt, eine trübe Flüssigkeit auf die Haarpracht geträufelt, kann dies eine Atmosphäre der unzertrennbaren Gemeinschaft erzeugen. Allein der feste Glaube, dass wirklich jeder im Team, angefangen vom Zauberer, über die Trainer bis hin zu den Spielern, alles aus sich herausholt, kann einen unbändigen Siegeswillen schüren. Dieses Instrument werden wir uns im weiteren Saisonverlauf zu Nutze machen.


Doch auch unser Gegner, Stand United, schien gewillt gegen uns zu punkten. Bereits im Pre-Match Meeting zeigte das rot leuchtende T-Shirt meines Trainerkollegen die eindeutige Marschrichtung an. Der schmackhafte Schriftzug auf Brusthöhe: "I eat my enemies!" Na dann Prost Mahlzeit! Wir konzentrieren uns auf Fußball. Die ersten beiden Begegnungen der Rückrunde verlor der Verein, dessen Ursprung auf den großen Busbahnhof in der Region Shinyanga zurückzuführen ist. Ein zahlungskräftiger Sponsor ist abgesprungen. Mit ihm der französische Trainer und einige Stammspieler. Ich muss kein Künstler sein, um uns Chancen auszumalen. Diese erarbeiten wir uns in der ersten Halbzeit auch zu Genüge, bekommen aber erneut Nervenflattern im Abschluss. Besonders Waziri Junior war ein Aktivposten und verbuchte gleich mehrere Torschüsse, die Stands Torwart jedoch entschärfte. Besser machte es Jamali Soud, der das Leder nach einem Eckball aus fünf Metern über die Linie stocherte. 10 Minuten später erzielte er nach einem Traumpass von Carlos Protus blitzsauber das 2:0. Unendliche Erleichterung und gemeinsamer Jubel an der Eckfahne. Der Torschütze hielt noch einen aus den Stutzen hervorgekramten Zettel in die Kameras. Ein persönlicher Gruß an die Familie und beste Neujahrswünsche an alle Toto-Unterstützer. Azam TV überträgt live. Stand United kommt zwar noch zum Anschlusstreffer und lässt in der Schlusssekunde der sechsminütigen Nachspielzeit noch eine Großchance aus. Uns egal, wir gewinnen 2:1! Völlig nass geschwitzt bei heißen Temperaturen feiern wir den Sieg und beten später gemeinsam. Nach Spielschluss kommt der Doppeltorschütze auf mich zu gerannt, umarmt mich und grinst mich breit an - den Tag zuvor hat er zwei Tore angekündigt und ließ am heutigen Spieltag Taten folgen. Überragend!!


In dieser Woche findet der Mapinduzi Cup auf Sansibar statt. Ein Traditionsturnier zu Ehren der Unabhängigkeit der Inseln Sansibar und Pemba. Vor knapp 53 Jahren, am 12. Januar 1964 rief man die Volksrepublik aus, nachdem die schwarze Mehrheitsbevölkerung sich in einer blutigen Revolution von der arabischen Oberschicht gelöst hat. Über 160 Jahre waren die Inseln Teil des Sultanats von Oman. 3 Monate später schloss sich Sansibar mit Tanganjika zusammen - zum neuen Staat Tansania. Deshalb spielten die stärksten Mannschaften aus Tansania und Sansibar jährlich einen Sieger aus - mit dem Finale am 12. Januar. Dieses Jahr ist mit URA FC auch eine Spitzenmannschaft aus Uganda vertreten. Aus Tansania folgen Simba SC, Yanga und Azam FC der Einladung.​ Das Turnier auf der Gewürzinsel am Indischen Ozean erfreut sich in Ostafrika großer Beliebtheit und spült den antretenden Vereinen ordentlich Chips in die Kassen. Der Sieger freut sich über 25 Millionen TZS (10.900 €). Die Tansanische Premier League ruht in dieser Zeit. Das nächste Ligaspiel von Toto Africa ist erst auf Montag, den 16. Januar terminiert. Eine Partie vor eigener Kulisse gegen Tansania Prisons, in der wir unbedingt Revanche nehmen wollen, für die verdiente 1:0 Pleite aus der Hinrunde. Zur Vorbereitung habe ich für das Wochenende ein Testspiel gegen eine stark einzuschätzende Mannschaft aus Kamerun ansetzen lassen. So können wir den Rhythmus unserer Stammspieler aufrechterhalten. In Shinyanga sind weitere Spielansetzungen gegen Teams aus der First- und Second Division geplant, um unsere derzeitigen Ersatzspieler unter Wettkampfbedingungen zu testen.

Zusatzinfo:

Wer sich zusätzlich zum Blog leicht verdauliche Lektüre wünscht, dem rate ich nächste Woche Montag den Kiosk des Vertrauens zu plündern. Das Sportmagazin Kicker berichtet unter der Rubrik „Fußball International“ auf einer Doppelseite über das Fußballabenteuer von Toto African SC. Reinschauen lohnt sich!



Liebe Grüße ins kalte Deutschland

euer Tim


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