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Selbst in der Ligapause bleibt Toto chaotisch!


Wie verabredet stand unser Chairman Aiko mit seinem Toyota am Sonntag in der Früh vor der Haustür. Das Hupen der Tochter im Sekundentakt mit seinem harmonischem Abklopfen an unserem Einfahrtstor inklusive. Ich öffnete und ein freudestrahlender, adrett gekleideter Mann umarmte mich innig. Unser Vereinsboss war stolz wie Bolle, den Mzungu abzuholen und mich mit seiner Familie bekannt zu machen. Eins kann ich sagen: der Kerl lebt wie ein König! Ein riesen Grundstück mit integriertem Bauernhof, viele Tiere, eine kleine Plantage an Obstbäumen und High-Tech im Wohnzimmer. Seine ältere Frau kocht, seine jüngere deckt den Tisch. Vorspeise: geröstete Bananen, Hähnchen und ein kühles Kilimanjaro-Bier. Die Tochter trinkt Wein - sie verträgt keinen Alkohol... Das Gesprächsthema, wie soll es auch anders sein, war der Fußball. Fragestellung: "Wie können wir Toto vor dem Abstieg retten?" Nach kurzer Zeit merkt man, dass Aiko mehr auf der Zunge liegt als knuspriges Geflügel. Ich wurde nie besser in die Abläufe des afrikanischen Fußballs eingeführt als an diesem Tage. Kuriositäten, der verrücktesten Sorte! Endgültig fiel mir die Kinnlade aber runter, als unser Gabentisch um eine gebratene Ziege bereichert wurde. Das Tier war noch komplett - schmale Hörner am Kopf und Fell an den Hinterläufen. Das Ganze verziert mit Gurken- und Karottensticks, die man sorgfältig auf Zahnstocher montiert hatte. Prächtiges Ding! Aiko lachte unentwegt und reichte mir Messer und Gabel! Wir säbelten an dem Fleisch herum, bis die Rippen freilagen. Mein zweijähriger Vegetarierausflug ist längst beendet. Wohlstandsbäuche sind hier gerne gesehen. Die Elite trägt dick auf. Einfach wunderbar! Am späten Nachmittag fuhr der Gärtner mich dann wieder zurück nach Ilogonzala. Aiko gab mir am Ende noch den Tipp mit, im Training auch mal mit Medizinbällen trainieren zu lassen. Nicht um die Kraftfähigkeiten zu entwickeln, sondern eher um den Fuß der Spieler abzuhärten! Im Klartext heißt das, Torschüsse aus der Distanz mit Medizinbällen! Meine Empfehlung an die Jugend: Pferdesalbe einstecken :)


Ich wohne in einem Haus mit einer überragenden Gruppe von internationalen Volunteeren zusammen, die sich in einer Sports Charity engagieren. Mit sechs von ihnen machte ich mich am selben Abend noch auf den Weg, um drei Stunden später nordöstlich von Mwanza Halt zu machen. Der älteste und bekannteste Serengeti-Nationalpark wartete auf uns! Wir nächtigten in einem Guesthouse für 5 € pro Nacht. Was wir am nächsten Tag alles gesehen haben, war unglaublich beeindruckend und hinterlässt bei mir nachhaltigen Eindruck. Große Büffelherden, kleinere Gruppen von Elefanten und Giraffen, mehrere Tausend Antilopen, Gnus und Zebras. Ein Naturschauspiel und Touristenspektakel! In einen Zoo setze ich keinen Fuß, aber das hier raubt einem den Atem! Highlights waren sicherlich die Nilpferde, Krokodile, Löwen. Auch einen Leoparden bekamen wir zu Gesicht. Inmitten großer Wildtiere, ohne Zaun und ohne Absperrung ist wahrlich ein besonderes Gefühl. Vereinzelt haben wir auch noch abgenagte Skelette von Tiere im Schatten der Bäume gesehen. Des einen Freud, des anderen Leid.


Am Sonntag stand dann die jährliche Mitgliederversammlung auf dem Plan. Die Einladung zu dieser erhielt ich pünktlich einen Tag zuvor. Um 11 Uhr sollte es im Lake Hotel nahe des Stadtzentrums losgehen. Eine gute Möglichkeit, Ordnung im Verein zu schaffen. Als ich aus dem Daladala ausstieg, vernahm ich bereits lautstarke Wortgefechte. Ich hielt die stürmische Menge zuerst für religiöse Prediger, bis ich feststellte, dass es sich um aufgebrachte Toto-Mitglieder handelte. Die meisten von ihnen hatte ich noch nie im Stadion gesehen, aber jeder Einzelne war anscheinend bestens über den Verein informiert. Direkt wurde ich in die Runde einbezogen. Einige Swahili Wortfetzen konnte ich verstehen. Sehnsüchtig erwarteten alle die Rede des Mzungus. Plötzlich holte ein Mann einen Zollstock aus seinem Auto und vermaß augenblicklich meine Körpergröße - den Grund habe ich bedauerlicherweise nicht erfahren. Der Mann schien nach der Messung aber stolz zu sein und die anderen nickten zufrieden. Offiziell begonnen haben wir dann mit einer Stunde Verspätung nach dem Eintreffen unseres Chairman Aiko. Ungefähr 40 Mitglieder ergatterten einen der begehrten Coca-Cola Stühle, die anderen mussten stehen oder setzten sich auf den langgezogenen Thekentisch - in dem Wissen, dass die Veranstaltung wohl mindestens 7 Stunden dauern wird! Frauen waren keine da. Nach den einleitenden Worten der Vereinsbosse startete unverzüglich eine verbale Auseinandersetzung, die meinen Swahili-Wortschatz um ein paar ganz feine Leckerbissen erweiterte. Die Aufzeichnungen des Vereinsbudgets waren von unserem Accountant auf Englisch gedruckt. Viele Mitglieder verstehen kein Wort und bezichtigen den Mann des Betrugs und der Korruption. Mit so einer Leidenschaft habe ich selbst die Tansanier selten kritisieren gesehen. In der Zwischenzeit holte ein gebildeter Mann die Vereinssatzung von Toto African hervor, dessen Papier mich an Papyrus aus dem alten Griechenland erinnerte - wohl das Originaldokument! Er agierte wie ein alter Hase im Juristengeschäft und las einzelne Satzungen im großen Stil vor. Fünf Minuten später war der Gebildete schon nicht mehr Teilnehmer der Veranstaltung. Was genau passiert war, konnte mir niemand übersetzen und wahrscheinlich spielten auch andere politische Gründe eine Rolle. Ein Kamerad pflichtete mir bei, dass man nicht so heftig auf seine Rechte pochen sollte! Okay, das wäre geklärt! Die böse Nachrede des Mannes vermischte sich alsbald mit dem Verkehrsgetöse auf den Straßen.


Zur Mittagszeit wurde dann frisches Gemüse mit Reis und Hähnchen serviert. Wasser gratis dazu. Bier ist nicht geflossen. ​​Gegessen wurde wie üblich mit den Fingern. Etwas verächtlich empfand ich dann die Sitte, angenagte Knochenreste ohne Bedenken auf den Fußboden zu werfen. Nach Wiederaufnahme der Agenda, schlich und kräkelte die Hotel-Bedienung zwischen den Stühlen und Tischen umher, um alles wieder aufzusammeln. Niemanden kümmerte das. In der Zwischenzeit wurden zwei Leader wieder zu einfachen Mitgliedern heruntergestuft. Es handelt sich wahrscheinlich, um die eifrigsten Männer im Club, die aber den Machtspielen einiger anderer ausgesetzt sind. Eine legitime Wahl dazu hat nicht stattgefunden. So teilte mir jemand mit vorgehaltener Hand mit, dass diese Entscheidungen wahrscheinlich in zwei Wochen wieder angefechtet werden. Es gibt wohl zwei Vorstandsebenen, eine offizielle und eine interne, die nicht koordiniert miteinander arbeiten und unterschiedliche Entscheidungsträger haben! Chaos ist vorprogrammiert.


Gegen Ende der Veranstaltung wurde dann endlich die aktuelle Saisonleistung von Toto unter die Lupe genommen. Obwohl wir uns auf dem letzten Tabellenplatz befinden, sind einige Mitglieder nicht unzufrieden - wissen sie wohl um die schwierigen Umstände. Nur zwei von ihnen lassen ihren Frust freien Lauf. Als Trainer bin ich nicht Zielscheibe der Kritik. Ein befreiendes Gefühl, wenn Vorstandsebene und die anderen Vereinszugehörigen einem den Rücken stärken. Mit Nachdruck fordern die Mitglieder anschließend neue Spieler mit außerordentlichen Fähigkeiten. Ein schwieriges Unterfangen. Natürlich freuen wir uns über neue Qualität im Kader. Immerhin haben wir vor Saisonbeginn zwölf Spieler (größtenteils Stammkräfte) ersetzen müssen. Bedenken sollte man aber, dass Qualität immer auch Geld kostet. Und wo soll Toto das bitte hernehmen? Wir warten seit nun zwei Monaten auf die Zahlungen des Ligasponsors. Unglaublich, dass dieser nicht zahlt! Wir sind voller Tatendrang, können derzeit aber einfach wenig ausrichten! Die Spieler sind noch bei ihren Familien und kommen erst zurück nach Mwanza, wenn gezahlt wurde. Einen Sponsor haben wir noch immer nicht. So wird einem nochmal mehr bewusst, was für eine schwierige Herausforderung es ist, Toto in der Klasse zu halten. .


Für diesen Montag hatten wir ein Spielerscouting ausgerufen. Fußballer aus dem ganzen Land können ins Kirumba Stadium kommen, um sich für unser Team zu empfehlen. In Gesprächen mit unseren Vereinsvorsitzenden habe ich zuvor klargestellt, dass Co-Trainer Ngassa und ich vom aktuellen Kader im Großen und Ganzen überzeugt sind. Ich hoffte mit diesem Statement, einigen politischen Spielchen den Riegel vorgeschoben zu haben. Wir wollen unsere Mannschaft ja nicht komplett austauschen. Doch habe ich mich da wohl stark getäuscht. Spieler aus Kamerun, Nigeria und Ghana liefen mit ihren Beratern auf. Die Vorfreude im Vorstand ist groß, man erhofft sich einiges. Und auch Ngassa erklärt mir plötzlich mitten im Training, unseren Kader auf acht Positionen verändern zu wollen. Ich schüttelte nur noch mit dem Kopf. Das würde unsere ganze Mannschaft zerstören und unsere finanzielle Notlage in einen Super-Gau verwandeln. Die internationalen Jungs können vielleicht kicken, sind letztendlich aber einfach nicht bezahlbar. Die nächsten Tage werden darüber entscheiden, mit welchem Spieleraufgebot wir in die Rückrunde starten.



Viele Grüße vom Viktoriasee

euer Tim




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