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Getrennte Wege - Das Traumprojekt Toto African ist zu Ende


Ich war fassungslos wie eine schluchzende Glühbirne. Das Engagement beim tansanischen Erstligisten Toto African SC ist für mich beendet! Sechs Spieltage vor Abschluss der Saison habe ich notgedrungen die Reißleine gezogen. Mein Einflussbereich auf die Mannschaft hat sich nach der Einbindung des neuen Cheftrainers Fulgence Novatus dem Gefrierpunkt genähert! Knapp über Null. Mein neuer Posten als Technical Director mag auf dem Papier zwar ansprechend sein, ist in der Toto-Realität aber bedeutungslos. Es hat sich herausgestellt, dass ich nicht mehr die leitende Figur auf dem Trainingsplatz sein kann, nicht der Entscheidungsträger über die Startaufstellung bin und die Coachingzone für mich tabu ist. Den Leitspruch "zuerst schließen wir die Augen und dann sehen wir weiter", wollte ich nicht verfolgen. Im Trainerdreiergespann stellt die Sprache Swahili ein Problem dar, Klartext noch ein größeres.


Einige Spieler wollten die Entscheidung nicht wahrhaben und haben im letzten Spiel gegen Mbao FC gestreikt. Unter anderem unser Kapitän Salum Chuku, Tormaschine Waziri Junior und Stammtorhüter Musa Kirungi. Erstgenannter verlor prompt sein Amt und muss die Binde an jemand anderes abgeben. Ich habe viele Nachrichten und Anrufe von Spielern bekommen, die mich um eine Wiederaufnahme der Arbeit in irgendeiner Funktion des Trainerteams gebeten haben. Unter diesen Umständen ist es nur leider nicht machbar. Die große Erwartungshaltung des Vereins konnte ich dann am Ende nicht mehr gerecht werden. Vielleicht ist ein neuer Impuls von außen auch die richtige Maßnahme, um den Club vor dem drohenden Abstieg zu retten. Toto marschiert weiter und ich wünsche dem Verein nur das Beste! Mit den Spielern stehe ich natürlich weiter in engem Kontakt.

Dennoch schmerzt es, wenn man viel Zeit und Energie in eine Sache steckt, von der man kurz vor Abschluss entbunden wird. Aus Mwanza, ja aus Tansania wollte ich zu diesem Zeitpunkt nur noch raus! Ich suchte nach geistiger Akupunktur und Selbsttherapie für die geschundene Seele. Backpacking in Uganda und Ruanda schien die beste Option zu sein. Überragend, dass Max aus Deutschland eingeflogen kommt. Wir treffen uns in Kampala und erleben eine aufregende Zeit im vom Ernest Hemmingway so gelobten Land.

Während das DFB-Team den Bilderbuch-Abschied vom "Kölschen Jung" Prinz Poldi im Prestigeduell gegen England zelebriert, konnte ich in einer dunklen Schnapsbude in Ruanda den großartigen 2:0 Triumph der Taifa Stars über Botswana, die Nummer 116 der FIFA-Weltrangliste, bejubeln. Mbwana Samatta, der Star im Tansania-Dress, hat sich abermals als zweifacher Torschütze ausgezeichnet. Der 24-Jährige steht in Europa auf der Gehaltsliste, netzt in der Euro League regelmäßig für den KRC Genk und gilt im Land der endlosen Weite als Idol der Halbstarken und Heranwachsenden. Auch die Balltreter aus Mwanza versuchen dem Landsmann nachzueifern.

Drei Tage später wurden die "Kampfschwalben" aus Burundi im Nationalstadion vorstellig. Dessen Fußball ist durch eine Besonderheit geprägt, die in Afrika einzigartig ist: Eine Frau führt den Fußballverband und ein deutscher Fußballlehrer leitet die Geschicke auf dem Platz. Eine bemerkenswerte Konstellation, wenn man die angespannte politische Lage im Binnenstaat bedenkt. Für ein Kurzzeitprojekt wurde selbst Weltenbummler Lutz Pfannenstiel in die Hauptstadt Bujumbura geholt, um neue Anreize für ein professionelles Torwarttraining zu geben. Das Ganze blieb jedoch wirkungslos wie die Einnahme von Buscopan Plus Filmtabletten bei einer Bart-Phobie. Tansania zwang die Mannschaft mit 2:1 in die Knie. Simon Msuva von Young Africans FC und Mbaraka Yusuph von Kagera Sugar stellten die Weichen mit ihren Treffern bereits in der ersten Halbzeit auf Sieg. Die Fans auf den Dörfern applaudieren besonders dem Headcoach Salum Mayanga, der nicht nur Spieler aus den Traditionsvereinen in den Kader berufen hat.


Hält man den tansanischen Fußball in Europa etwa so attraktiv wie eine Darmspiegelung, hatte es für mich immer einen ganz speziellen Reiz. Die Liebe und Leidenschaft zum runden Leder ist in der Intensität unnachahmlich. Alles dreht sich um Fußball. Es ist eine Religion! Für den Mann auf der Straße kann der Verein das Ein und Alles sein. Dementsprechend emotionsgeladen sind Diskussionen, dementsprechend ausgelassen sind die Siegesfeiern! Freundschaftsspiele werden selbst im kleinsten Dorf live über Mikrophone lautstark kommentiert - Trommeln, Tänze und Musik der Einheimischen begleiten das Spektakel über die volle Spielzeit! Zeitungen, Radio und das Fernsehen berichten ununterbrochen und selbst in den verwegensten Landstrichen werden die Trikots der Herzensvereine übergestreift. Es kommt gar vor, dass sich eine Gruppe Männer in kleinen Fischerdörfern am Viktoriasee zusammenschart, um über eine kontinuierliche Stromzufuhr per Solarenergie zu beraten: Nicht, weil sie dem nächtlichen Kerzenschein abtrünnig sind, sondern weil sie die Spiele von Young Africans FC und Simba SC sehen wollen.


Es passierten irre, unvorhersehbare Dinge. Das entscheidende war, sich selbst nicht so ernst zu nehmen. Ich komme als Exot ins Land, muss die Kultur, das Verhalten und auch die Eigenarten des Landes akzeptieren. Ich muss offen für Neues sein. Wenn sich Spieler in der Umkleidekabine durch Anordnung vom Zauberer heilsame Salben auf den Vorderfuß schmieren oder die Spielkleidung beweihräuchern lassen, habe ich das als Trainer nicht in Frage gestellt. Der Zauberer ist ein angesehener Mann bei Toto African und der Glaube an übernatürliche Kräfte ist in den Köpfen stark verankert. Bestärkst du die Spieler in dem was sie tun, kann dies einen ungemeinen Zusammenhalt erzeugen und die letzten Reserven mobilisieren. Die Sportwissenschaft hilft in solchen Momenten überhaupt nicht. Man muss einfühlsam agieren und überzeugend auftreten.


Das Spielniveau ist meilenweit vom europäischen Profifußball entfernt. Auch die Großmächte des afrikanischen Fußballs sind in weiter Ferne. Tansania ist ein weißer Fleck auf der Weltkarte des Fußballs. Es hakt an grundlegenden Dingen: Der nationale Fußballverband TFF hat es versäumt, ein funktionierendes Nachwuchssystem aufzubauen. Es gibt nicht einmal einen Ligabetrieb für die Jugend. Die Buben kicken auf irgendwelchen Bolz-und Märktplätzen herum, spielen aber nicht in regulären Mannschaften. Die Spieler haben folglich im Seniorenbereich kein Rüstzeug im technisch-taktischen und körperlichen Bereich. Ein System aufzubauen kostet Geld, die nötige Infrastruktur aufzubauen kostet Geld, Lehrgänge für Trainer kosten Geld, Fußbälle und Fußballschuhe kosten Geld – und Geld ist nicht vorhanden. Eine gute Orientierung bietet Uganda. Als einziges Ostafrika-Team konnten sie sich für den AFCON 2017 qualifizieren. Das Talent ist da! Nur braucht es systematische Ausbildungen und eine "goldene Generation" von Spielern, die von Beginn an den Unterschied ausmachen.


Mich fasziniert der Wille der Spieler, alles in ein Spiel hineinzuwerfen! Die Kehrseite sind extrem harte Tacklings, "offene Sohlen" und "gestreckte Beine". Zwischen tough und rough gibt es für den passionierten Zweikämpfer kaum einen Unterschied! In Deutschland gibt es den roten Karton, hier bleibt es bei einer Ermahnung. Viele Außenstehende hauen die Schiedsrichterentscheidungen deshalb oft mit der Korruptionskeule klein und lamentieren über absichtliche Fehlentscheidungen zugunsten des Geldgebers. Natürlich sind einzelne Pfiffe haarsträubend und sorgen für Verwunderung, andererseits stehen die Referees auch hier unter Beobachtung und riskieren durch grobe Schnitzer ihren Job. Sie können sich längst nicht alles leisten. Während der gesamten Saison gab es im Toto-Lager nicht einen einzigen Spieler, der langfristig verletzt war. Die Spieler sind äußerst zäh, auf der anderen Seite aber sehr geschmeidig und erstaunlich beweglich. Vor dem Training und vor dem Spiel beten wir gemeinsam (Christen und Muslime), dass alle wieder gesund vom Platz kommen.


Die Trainingsformen speziell bei älteren Trainern oder unteren Leistungsklassen ist gelinde gesagt eigentümlich. Sie haben kaum Kenntnisse von taktischem Verhalten und konzentrieren sie sich in ihrer Trainingsarbeit auf das, was jeder Anfänger relativ schnell lernen kann: Runden laufen, Sprints machen, über Hürden springen oder dergleichen. Kondition bolzen bis zum Umfallen! Wenn jemand sagt, wir brauchen mehr Fitness, dann rennen die Spieler einen Berg hoch und verausgaben sich völlig! Und der allmächtige Präsident segnet ab und befürwortet diese Art des Trainings. Man kennt es nicht anders. Fitness mit Ball wird nur müde belächelt...


Ein riesiges Dankeschön möchte ich zuletzt an Jürgen Seitz richten, dem Mr. Kipala, Mr. Pepsi Diet und Mzungu-Master of Ilogonzala. Mit der Sports Charity Mwanza bist du jetzt schon in die Annalen der tansanischen Geschichtsbücher eingegangen! Bockstark, wie du Projekte vorantreibst und mir dieses einmalige Erlebnis ermöglicht hast. Deine Ratschläge waren unentbehrlich, dein Support war grandios. Leider kannst du dir von meinem feuchten Händedruck nichts kaufen :D


Wenn man in eine neue Welt geworfen wird, von der man vorher keinen blassen Schimmer hat, sind die Erlebnisse höchst intensiv. Ich laufe rum wie ein großer Schwamm, der alles aufsaugt, aber in der Kürze der Zeit längst nicht alles verarbeiten kann. Da ist es gut, wenn man abends nach Hause kommt und von einer großen, lebendigen Familie umgeben ist. Sports Charity Crew - es war mir eine Ehre! Asante sana... (Ist das noch Liebe oder Pflegestufe 2?)


Bedanken möchte ich mich bei meiner Familie, allen Freunden und Unterstützern. Und bei den Internetjunkies, die ihren Blick beim Sonntagskuchen über meine Tansania-Aufzeichnungen haben schweifen lassen. Besonders glücklich machen mich auch die Analphabeten, die nun einen Kurs in der örtlichen Volkshochschule besuchen, um an den Berichten teilhaben zu können. Weiter so!


Und an alle Tansanier: Nur Legenden!!!

Liebe Grüße aus Mwanza

euer Tim


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